Hand aufs Herz – 3 Fragen an Adriel Jost

Dass ethische Aspekte von Geldanlagen im Lichte politischer und gesellschaftlicher Veränderungen neu überdacht werden müssen, ist nicht ungewöhnlich. Aber in Kriegszeiten wird der Kauf von Rüstungsaktien zur Gewissensfrage: Ist es angesichts des Ukraine-Krieges verwerflich, in Papiere von Waffenherstellern zu investieren oder ist dies sogar geboten angesichts dessen, dass jedes Land das Recht hat, sich gegen Angriffe zu verteidigen? Wir fragen nach beim Ökonomen und Theologen Adriel Jost.

Liberethica: Am vergangenen 24. Februar, der Invasion Russlands in die Ukraine, begannen an der Börse die Aktienkurse von Rüstungsunternehmen emporzuschnellen. Selten konnte man mit Waffenaktien in so kurzer Zeit so viel Geld verdienen wie in den vergangenen Wochen. Hand aufs Herz: Werden Käufer von Rüstungsaktien zu Profiteuren des Krieges?

Adriel Jost: An den Finanzmärkten schneiden die Investoren gut ab, die zukünftige Entwicklungen besser absehen können als andere. Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass viele Länder wieder vermehrt in ihre Sicherheitspolitik investieren. Für geopolitische Beobachter kam diese Kehrtwende nicht überraschend. Wer darauf setzte, konnte zurecht davon profitieren.

Liberethica: Kann, wer konsequent für eine starke Landesverteidigung eintritt und Waffenexporte in die Ukraine befürwortet, an der Börse guten Gewissens in Rüstungsaktien investieren?

Adriel Jost: So einfach ist es nicht. Waffen sind paradoxerweise für eine friedlichere Welt unerlässlich, in falschen Händen sind sie aber äusserst gefährlich. Allerdings sind viele Güter und Dienstleistungen einerseits wertvoll für die Gesellschaft, verursachen gleichzeitig aber auch beträchtlichen Schaden. Autos sorgen beispielsweise für Mobilität, aber auch für Unfälle und Abgasemissionen. Smartphones vereinfachen den Alltag enorm, machen uns aber auch dumm. Wenn Sie als Investor mehr Kontrolle haben wollen, was mit Ihren Investitionen passiert, sind grössere Beteiligungen an Unternehmen unabdingbar, damit Sie direkt Einfluss auf Entscheidungen und Kundenbeziehungen nehmen und diese nach Ihren eigenen ethischen Gesichtspunkten ausrichten können.

Liberethica: Ist es seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges moralisch vertretbar, vielleicht sogar geboten, sein Geld in die Waffenindustrie zu investieren?

Adriel Jost: Diese Frage zeigt exemplarisch die Schwierigkeiten, die mit ESG-Investitionen verbunden sind. Ethik ist eine persönliche Frage. Es ist schwierig, klare ESG-Kriterien zu definieren, auf die sich die Investoren einigen können. Der Ukraine-Krieg verdeutlich: Ethische Dilemmata machen die Welt so komplex, dass einfache Kriterienkataloge dem nicht gerecht werden können. Viele Menschen sind nicht einmal selbst über die Zeit konsistent, wie es der Meinungsumschwung vieler Pazifisten zu überzeugten Waffenexportbefürwortern illustriert. In einer säkularisierten Gesellschaft akzentuiert sich die Unstetigkeit der ethischen Überzeugungen zusätzlich, da es an einem moralischen Fundament fehlt. Anbietern von ESG-Produkten bleibt nichts anderes übrig, als das Angebot zu individualisieren und flexibilisieren, um den einzelnen Investoren gerecht zu werden.

Adriel Jost ist Ökonom, Theologe und Mitglied des Kuratorium von Liberethica.

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