Gleichstellung: gegen das Opfer-Lamento von links
Als bürgerliche Frauen machen wir uns für eine verbesserte Integration der Frauen im Erwerbsleben stark. Als moderne Frauen müssen wir aber weder belehrt noch gefördert werden. Das Narrativ der allüberall benachteiligten Frau ist kontraproduktiv.
Wir bekennen: Wir haben für die Erhöhung des Frauenrentenalters gestimmt. Wir sind keine alten weissen Männer, sondern Frauen unterschiedlichen Alters.
Sind wir dem Patriarchat auf den Leim gegangen? Haben wir Verrat an der Sache der Frau begangen? Sind wir gar keine richtigen Frauen? Die Abstimmung bedeute einen Schlag ins Gesicht der Frauen, wetterten linke Frauen. Frauen, die der Angleichung des Rentenalters zugestimmt haben, auch weil sie darin einen weiteren Schritt in Richtung Gleichberechtigung sehen, passen offensichtlich nicht in ihr Bild.
Frauensolidarität und Stallgeruch
Frauen seien Opfer, versuchen sie uns weiszumachen. Wenn schon nicht Opfer eines spezifischen Mannes, dann halt Opfer des immer und überall wütenden Patriarchats. Frauen seien permanenter Benachteiligung ausgesetzt. Frauen hätten es schwer im Leben. Sie krampften und kämpften. Sie litten unter tieferen Löhnen, unbezahlter Familienarbeit und Doppelbelastung.
Aus diesen Gründen könne man ihnen nicht auch noch zumuten, ein Jahr länger zu arbeiten, lautet der Tenor linker Frauen, die – entgegen ihrer Doktrin von der Erwerbstätigkeit der Frauen – Frauen über 64 offensichtlich lieber beim Hüten der Enkelkinder als im Büro sehen wollen.
Wer sich als Frau dem Narrativ der von Ewigkeit zu Ewigkeit benachteiligten Frau widersetzt und nicht bereit ist, in den Chor der Opfer einzustimmen, erntet von linken Frauen im besten Fall Unverständnis, im schlechtesten Fall Verachtung und Hass, wie die Reaktionen nach der AHV-Abstimmung gezeigt haben.
Ist es mit der anlässlich der Frauensession im vergangenen Jahr vielbeschworenen Frauenpolitik als überparteilichem Anliegen bereits aus und vorbei? Ist die vermeintliche Einigkeit von Frauen in Sachen Gleichstellungspolitik mit der AHV-Abstimmung gewissermassen frühzeitig in Rente geschickt worden?
Gilt Frauensolidarität nur jenen, denen der eigene Stallgeruch anhaftet? Auf die Frage, ob denn eine Feministin immer links sein müsse, antwortete kürzlich die prononciert linke und mittlerweile zur Star-Feministin avancierte britische Journalistin Laurie Penny: «Es gibt natürlich auch Feministinnen rechter Parteien. Ich halte sie einfach nicht für besonders nützlich.»
Sind bürgerliche Feministinnen bei linken Frauen also nur geduldet, solange sie deren politischen Anliegen nützen? Statt abweichende Meinungen als frauenfeindlich zu brandmarken, sollten sich linke Frauen eingestehen, dass die Gleichstellungspolitik von Frauen womöglich vielfältiger und weniger ideologisch ist, als sie es sich wünschen.
Als bürgerliche Frauen, die den bürgerlichen Ursprung der Frauenbewegung hochhalten, kämpfen wir für gleiche Rechte, Freiheiten und die Selbstbestimmung von Frauen. Statt neuer Vorschriften und Zwänge durch Quoten und staatliche Übergriffe wollen wir mehr Freiheiten und Möglichkeiten für Frauen, beispielsweise durch die Einführung der Individualbesteuerung, flexiblere Arbeitsmodelle und durch ausgebaute Tagesschulstrukturen.
Gleichstellung mit Gendersternchen und Gratistampons?
Wir glauben nicht daran, dass die Gleichstellung mit Gendersternchen und Gratistampons vorangetrieben werden kann und eine gendergerechte Sprache Frauen im Tieflohnsektor zu einem besseren Leben verhilft.
Der Forderung linker Frauen, im Rahmen der bevorstehenden BVG-Revision darauf hinzuarbeiten, dass die massgeblich von Frauen geleistete Care-Arbeit in der beruflichen Vorsorge anrechenbar wird, können wir wenig abgewinnen, weil sie geschlechtsspezifische Zuordnungen verfestigt und Frauen vom (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben abhält. DieseProblematik hat übrigens mit Iris von Roten eine bürgerliche Feministin bereits Ende der fünfziger Jahre erkannt, als sie vor einer bezahlten Reproduktionsarbeit warnte.
Als bürgerliche Frauen machen wir uns vielmehr stark für eine verbesserte und nachhaltige Integration der Frauen ins Erwerbsleben und für Chancengleichheit im Bildungswesen, weil Bildung der Schlüssel zur Selbstbestimmung der Frau ist. Als moderne Frauen im 21. Jahrhundert müssen wir wederbelehrt noch gefördert werden. Wir denken selber und brauchen kein «Lehramt von links», das uns sagt, was wir als emanzipierte Frauen zu denken und zu tun haben.
Erschienen in der NZZ am 5. Oktober 2022
Autorin:
Jill Nussbaumer ist Volkswirtschafterin und Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen Schweiz
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Jill Nussbaumer ist Volkswirtschafterin und Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen Schweiz
Autorin:
Béatrice Acklin Zimmermann
Moderatorin und Publizistin.
Geschäftsführerin und Mitglied Kuratorium Liberethica.
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Béatrice Acklin Zimmermann
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