Was hat die Kirche eigentlich gegen die Wirtschaft?
Christentum und Markt haben eine gemeinsame Ideengeschichte. Doch heute wird zwischen Kirche und Wirtschaft nicht einmal mehr gestritten. Das muss sich ändern.
Die Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative vor einem Jahr brachte es an den Tag: Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Kirche ist zerrüttet. Wäre da nicht der Streit um das liebe Geld, sprich die Kirchensteuer für Unternehmen, herrschte wohl Funkstille. Wie konnte es so weit kommen?
Zugegeben: Ein harmonisches Paar waren die beiden noch nie, Spannungen begleiteten sie seit ihren Anfängen. Schon in jungen Jahren zeigte die Kirche eine Abneigung gegenüber Geld und Gewinn. Immer wieder erinnerte sie die Gläubigen daran, dass man nicht zugleich Gott dienen könne und dem Mammon.
Aber auf weite Strecken bemühte man sich dennoch umeinander und suchte immer wieder das Gespräch: Etwa im Mittelalter, als die Kirche der kompromisslosen Reichtumskritik der Bettelorden dezidiert entgegentrat und die Scholastiker der Schule von Salamanca Privateigentum und Gewinn verteidigten. An kritischen Worten fehlte es auch in besseren Zeiten nicht, doch man respektierte sich, und die Kirche anerkannte den Wert der Wirtschaft für die Gesellschaft.
Zwar war die Skepsis gegenüber dem Markt ein Grundzug der im 19. Jahrhundert entstandenen katholischen Soziallehre, doch verlor diese nie die wohlstandsfördernden Auswirkungen der Wirtschaft aus dem Blick. Beinahe Frühlingsgefühle erfuhr das Verhältnis von Wirtschaft und Kirche unter Johannes Paul II. Der polnische Papst, der in seinem Heimatland den Kommunismus selber erlebt und erlitten hatte, brach in seiner Enzyklika «Centesimus annus 1991» eine Lanze für die Marktwirtschaft und würdigte sie, ohne sie zu überhöhen oder ihre Schwachstellen zu übersehen.
Von einem solch kritisch-konstruktiven Verhältnis zwischen Kirche und Wirtschaft lässt sich heutzutage nur noch träumen. Nicht zuletzt mit dem argentinischen Papst, dessen radikaler Antikapitalismus sich konsequent durch seine bisherigen Verlautbarungen zieht, haben sich Kirche und Wirtschaft in den letzten Jahren voneinander entfremdet.
Durch Papst Franziskus, der «die magische Theorie» des Kapitalismus angesichts der Corona-Krise als gescheitert erachtet und sich neuerdings für die Einführung eines universellen Grundeinkommens stark macht, sehen sich auch hierzulande all jene kirchlichen Kreise gestärkt, denen die auf Freiheit setzende Marktwirtschaft als Teufelswerk gilt und die gegen Privateigentum und Wettbewerb vom Leder ziehen. Ist das Tuch nun gänzlich zerschnitten, oder gibt es noch leise Hoffnung, dass Wirtschaft und Kirche wieder zueinanderfinden?
Dass man sich durchaus etwas zu sagen hätte, zeigten in besseren Zeiten die regelmässig veranstalteten Gesprächskreise zwischen hochrangigen Schweizer Wirtschafts- und Kirchenvertretern, bei denen produktiv gestritten wurde.
Es wäre Zeit, dies wieder aufzunehmen. Immerhin gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte zwischen Wirtschaft und Kirche, nicht wenige Pfeiler unserer Wirtschaftsordnung stammen aus der christlichen Ethik: Die Ideen der Unantastbarkeit der Person etwa, der Freiheit und Würde jedes Menschen und des Eigentums, die Ehrlichkeit und entsprechend die Verlässlichkeit des Vertrags haben christliche Wurzeln und wurden später von liberalen Denkern aufgenommen und als elementare Bedingungen einer freien Gesellschaft anerkannt.
Ungeachtet dessen, dass die im Christentum wurzelnden liberalen Grundwerte später zum Teil gegen den Widerstand der Katholischen Kirche erstritten werden mussten, ist die Bedeutung des christlichen Menschenbildes, das die einzelne Person in den Mittelpunkt stellt, für die Entwicklung einer freien Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Verfassung nicht hoch genug zu veranschlagen.
Der Gott des christlichen Glaubens, von dem es heisst, dass er sogar die Haare auf dem Kopf jedes Geschöpfs gezählt habe, wendet sich an den Menschen, er holt ihn aus dem Nebel des grossen Ganzen hervor, er erlöst Individuen, keine Kollektive.
In zerrütteten Beziehungen heisst es jeweils: Wir müssen reden. Das nimmt sich hierzulande die neu gegründete Denkfabrik Liberethica zu Herzen. In der festen Überzeugung, dass Lösungen auf die derzeitigen ethischen Herausforderungen in Wirtschaft und Politik nur mit liberalen Ansätzen gefunden werden können, sucht sie – auch – das Gespräch mit den Kirchen.
Soll dieses zustande kommen, wird die Frage auf den Tisch müssen, weshalb die Leistungen der Marktwirtschaft und eine Wirtschaftsordnung, welche die individuelle Freiheit und Eigenverantwortung ins Zentrum stellt, von der Kirche nicht angemessen gewürdigt werden und warum diese dem intervenierenden Staat mehr Vertrauen schenkt als dem freien Unternehmer. Die Erwartungen an das Gespräch dürften beidseits verhalten sein. Mit der Entfachung feuriger Gefühle füreinander ist nicht zu rechnen. Aber eine vernunftbetonte Beziehung wäre ja auch schon etwas.
Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 14. November 2021
Autorin:
Béatrice Acklin Zimmermann
Moderatorin und Publizistin.
Geschäftsführerin und Mitglied Kuratorium Liberethica.
Autorin:
Béatrice Acklin Zimmermann
Moderatorin und Publizistin.
Geschäftsführerin und Mitglied Kuratorium Liberethica.