Aus dem Wahlstudio: Ja oder Nein zum Klimaschutzgesetz?

Am Klimaschutzgesetz, über das die Schweiz am kommenden 18. Juni abstimmt, scheiden sich auch innerhalb von Liberethica die Geister. Gerhard Schwarz spricht sich dagegen, Kurt Fluri dafür aus. Das Beispiel zeigt erstens, dass es beidseits gute Gründe gibt, „Ja“ bzw. „Nein“ zu stimmen. Es zeigt zweitens, dass es auch bei politischen Entscheidungen Situationen gibt, in denen wir in eine Zwickmühle hineingeraten und uns keineswegs sofort klar ist, was das richtige oder bessere oder wenigstens weniger schlechte Verhalten ist. Situationen, in denen wir uns zwischen mehreren inakzeptablen oder zumindest unangenehmen Alternativen entscheiden müssen und in denen es keine ethisch unumstrittene oder eindeutig richtige Lösung gibt. Genau aus diesem Grund ist Liberethica ein Thinktank, in dem unterschiedliche Meinungen Platz haben.

Kurt Fluri: Es galt, die Gletscherinitiative zu verhindern 

Liberethica: Der FDP-Präsident Thierry Burkart hat für ein Ja zum Klimaschutzgesetz geworben mit den Worten, man müsse ab und zu «Kröten fressen». Wie gross ist die Kröte bei Ihnen? 

Kurt Fluri: Als Naturschützer schlucke ich keine Kröten… Die Unterstützung des KIG erfolgt tatsächlich eher widerwillig und ohne grosses Engagement. In Anbetracht des vernachlässigbaren Anteils der Schweiz am globalen CO2-Ausstoss (0,1%) scheinen mir unsere Bemühungen unverhältnismässig zu sein. Dieselben finanziellen Mittel hätten einen ungleich grösseren Effekt, könnten sie bei den grossen Emittenten China, Indien, Brasilien, USA eingesetzt werden. Nun haben wir aber die Gletscher-Initiative, die in Anbetracht des vorliegenden indirekten Gegenvorschlages bloss bedingt zurückgezogen worden ist. Wird das Gesetz abgelehnt, stimmen wir über diese Volksinitiative ab. Ich schätze deren Chancen wiederum als sehr gross ein, sind die Gletscher doch ein Identifikationsmerkmal unseres Landes – obwohl sie natürlich nicht wegen uns schmelzen, sondern wegen der genannten und anderen Emittenten. Würde die Gletscherinitiative angenommen, hätten wir ein Verbot von fossilen Brenn- und Treibstoffen sowie neue Steuern und Abgaben in der Verfassung. Die CO2-Reduktion könnte zudem nicht mindestens teilweise im Ausland erzielt werden.Vorwiegend aus diesem Grund unterstütze ich die Vorlage – ohne mich allerdings in einem Komitee zu engagieren.

Liberethica: Bei Subventionen von 3,2 Milliarden Franken über 10 Jahre, die angeblich von zweifelhaftem Nutzen für das Klima sind, müssten sich doch eigentlich jedem Liberalen die Haare sträuben. Was sind für Sie die Gründe, sich (dennoch) für diese Vorlage stark zu machen?

Kurt Fluri: Die maximal 2 Milliarden für die Hauseigentümer während 10 Jahren und die 1,2 Milliarden für Unternehmen während 6 Jahren werden nach allgemeiner Auffassung nicht genügen, um bis 2050 das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Eine Revision des CO2-Gesetzes wird dies sicherstellen müssen – mit Zusatzkosten, die vermutlich ein Referendum geradezu provozieren werden. Wenn ich hinter diesen Investitionen etwas Gutes zu erkennen vermag, dann ist es die damit verbundene Innovationsförderung.

Liberethica: Was erwidern Sie auf den Einwand eines Fraktionskollegen, die Vorlage führe zu einem deutlichen Mehrverbrauch von Strom, den zu produzieren die Schweiz nicht in der Lage sei? 

Kurt Fluri: Vermutlich ist dieser Einwand berechtigt – aber die Gletscherinitiative hätte dieselbe Folge, allerdings noch viel schneller. Fazit: Die von Fukushima getriebene und im Wahljahr 2011 befeuerte Energiewende mit dem Atomausstieg hat uns in eine fast ausweglose Situation geführt. Mit einer Realisierung der damals geplanten und bereits aufgegleisten neuen Atommeiler wäre der CO2-Ausstieg wesentlich einfacher.

Gerhard Schwarz: Warum das Klimaschutzgesetz gegen den Geist der Aufklärung verstösst

Das Klimaschutzgesetz, über das die Schweiz am 18. Juni abstimmt, ist mehr als ein ordnungspolitisches ein staatspolitisches Ärgernis, auch wenn es hehre Ziele formuliert. Es wird dem Volk nämlich kein reiner Wein eingeschenkt, wie unrealistisch die Zielerreichung ist und welche direkten und indirekten Kosten dadurch entstünden. 

Gegner sprechen vom Stromfresser-, Befürworter vom Klimaschutzgesetz. In beiden Schlagworten steckt ein Körnchen Wahrheit. Gemeint ist das «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit» (inklusive Impulsprogramm Heizungsersatz), über das die Schweiz am 18. Juni abstimmen wird.

Das Gesetz ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative. Sie wurde von den Proponenten bedingt zurückgezogen. Wird das Gesetz angenommen, ist die Initiative vom Tisch, wird es abgelehnt, kommt die Initiative vors Volk.

Angst vor der Ächtung

Mit einem Gesetz zu hadern, das in der Schweiz bis 2050 gemäss dem Pariser Klimaabkommen den Ausstoss klimaschädlicher Gase auf null senken will, setzt einem ohne Grund sofort dem Verdacht aus, man möchte am liebsten nichts für das Klima tun. Angst vor solcher Ächtung erklärt wohl zum Teil auch die breite Unterstützung für das Gesetz, vom Bundesrat über die grossen Parteien (ausser der SVP) bis zum Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, obwohl das Gesetz mit seinen detaillierten Richtwerten stark nach Planwirtschaft riecht.

Auch sträuben sich bei Subventionen von 3,2 Milliarden Franken über zehn Jahre jedem Liberalen die Haare, zumal angesichts der zu erwartenden Mitnahmeeffekte. Hausbesitzer, die ihre Heizung ersetzen wollen, werden sich die Hände reiben, dass ihnen das aus Steuermitteln versüsst wird.

Auch Umweltschützer müssen zahlen

Und dass man sich nach dem Scheitern des CO2-Gesetzes vor zwei Jahren nicht traut, auf Lenkungssteuern zu setzen, führt weg vom Verursacherprinzip. Es zahlen nicht nur die Vielfahrer und Vielflieger, sondern via Steuern auch die, die sich umweltbewusst verhalten.

Doch mehr als die ordnungspolitischen Verstösse machen die staatspolitischen Verirrungen Bauchweh. Erstens ist der Titel irreführend euphemistisch. Hinter der «Innovation» verstecken sich Bundessubventionen für Technologien von zweifelhaftem Nutzen.

Drastisch mehr Strom nötig

Und die Energiesicherheit? Das Gesetz erhöht den Elektrizitätsbedarf massiv, ohne zu zeigen, woher der Strom kommen soll (nämlich unweigerlich auch von Kernkraftwerken).

Zweitens wird wieder einmal eine radikale Forderung – hier ein absolutes Verbot fossiler Brennstoffe – abgewehrt, indem man den Initianten weit entgegenkommt. Diese erreichen so ihr wahres, vielleicht ohnehin gemässigteres Ziel rascher als mit der Initiative. Ausserdem müssen sie nicht die Hürde des Ständemehrs fürchten. Der Rückzug der Initiative zeigt die Zufriedenheit der Initianten.

Das Preisschild fehlt

Besonders stossend ist, drittens, dass das Gesetz hehre Ziele postuliert, jedoch fast nichts über Kosten, Massnahmen, Nachteile und Realisierbarkeit sagt. Wenn ein Gesetz die Erhöhung des Wohlstands oder des Glücks forderte – wer wäre nicht dafür? So ähnlich ist es hier. Und niemand weiss, was die Politik aus dem Gesetz machen wird.

Projekte, die nur die Ambition und das Wollen adressieren, nicht das Können, bei denen also abgesehen von den Subventionen das Preisschild fehlt, widersprechen dem Gedanken der Aufklärung. Sie verführen das Volk dazu, die Realität zugunsten von Idealen beiseitezuschieben.

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