Für mehr Bescheidenheit auf den Kanzeln
Wenn sich Kirchenvertreter in politische Debatten einschalten, mag das oft gut gemeint sein. Doch solche Positionsbezüge sind in mehrfacher Hinsicht problematisch.
Vor einem Jahr hat die Schweiz über die Konzernverantwortungsinitiative abgestimmt. Das starke Engagement für die Initiative von Kirchgemeinden, Pfarrerinnen, Pfarrern und kirchlichen Organisationen löste damals bei vielen Kopfschütteln aus. In der Schweiz sind ja in zwei Drittel der Kantone neben den natürlichen Personen, die einer Landeskirche angehören, auch die juristischen Personen kirchensteuerpflichtig. Dass jene, die sich in den Kirchen während der Arbeitszeit für die unternehmensfeindliche Initiative eingesetzt haben, das auch dank Steuergeldern von Unternehmen tun konnten, empfanden viele als stossend.
Zwar nahmen kirchenferne wie kirchennahe Katholiken die Initiative trotz Propaganda nur zu gut 40% an. Bei den Protestanten sagten die kirchenfernen ebenfalls nur zu 43% Ja, die regelmässigen Gottesdienstbesucher stimmten aber zu 71% zu. Ob das der Beeinflussung von der Kanzel geschuldet war oder die protestantischen Pfarrer das Ohr näher bei ihren Gemeinden hatten, bleibt offen. Die Debatte über das politische Engagement der Kirchen wird wieder aufflammen, wenn es in Volksabstimmungen um ökologische und soziale Themen geht – also eigentlich immer.
Die beiden grossen Landeskirchen haben daher verdienstvollerweise Anfang Dezember an einer Diskussion in Bern gefragt, wie weit ihr politisches Engagement gehen solle. Der Anlass hat bei mir als katholisch geprägtem Liberalem (das ist kein Widerspruch) einige Wünsche geweckt. Sie richten sich an die Vertreter der christlichen Kirchen, wenn diese im Sinne der Bergpredigt Partei ergreifen und sich in die Politik einmischen.
Erstens sollten die Kirchen Ziele und Wege auseinanderhalten. Es gehört zur Aufgabe der Kirchen, Leid und Unrecht zu benennen und deren Überwindung anzumahnen. Die Ursachenanalyse zählt dagegen nicht zu ihrer Kompetenz, und weder Ethik noch Theologie befähigen dazu, die Sachgerechtigkeit einer Vorlage zu beurteilen. Es gibt immer viele mögliche Antworten auf christliche Anliegen. Wer eine Initiative ablehnt, teilt vielleicht sogar das Ziel, hält aber den vorgeschlagenen Weg für nicht zielführend oder für kontraproduktiv.
Deshalb wäre, zweitens, auf den Kanzeln mehr Bescheidenheit angebracht. Wirtschaftliche und politische Wirkungsketten sind so komplex, dass sich selbst Fachleute uneinig sind. Emotionen und gute Absichten sind da ungeeignete Ratgeber. Drittens sollten sich Vertreter der Kirchen bewusst sein, dass sie als Autoritäten wahrgenommen werden. Jede plakative Argumentation zugunsten einer Vorlage wird, auch wenn sie nicht als Abstimmungsempfehlung formuliert ist, als solche empfunden. Das verlangt grösste Zurückhaltung.
Besonders darf, viertens, nicht der Eindruck entstehen, das Ja oder Nein zu einer Vorlage mache die Gläubigen entweder zu guten oder zu schlechten Christen. Das spaltet die Kirchen. Vor diesem Hintergrund sollte sich das politische Engagement der Kirchen darauf beschränken, Raum zu schaffen für die respektvolle Diskussion und das ehrliche, abwägende Ringen um Lösungen. Vehemente Parteinahme leistet keine Orientierungshilfe, sondern grenzt aus.
Erschienen in der NZZ vom 14. Dezember 2021
Autor:
Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.
Mitglied Kuratorium Liberethica.
Autor:
Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation. Mitglied Kuratorium Liberethica.