Hand aufs Herz – 3 Fragen an Adriel Jost
Quarantäne-Gate: Der Credit Suisse VR-Präsident Horta-Osório wurde seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Was bedeuten die hohen ethischen und moralischen Ansprüche von CEOs und Verwaltungsratspräsidenten und eine immer kritischere Öffentlichkeit für die Wirtschaft? Darüber sprechen wir mit dem Ökonomen und Kuratoriumsmitglied Adriel Jost.
Liberethica: Der zurückgetretene VR-Präsident Horta-Osório trat sein Amt bei der Credit Suisse mit einem hohen ethischen und moralischen Anspruch an. Er versprach nicht weniger als einen Kulturwandel und verlangte, dass Verwaltungsrat und Geschäftsleitung Vorbilder seien. Kann, wer die moralische Latte dermassen hoch hängt, gar nicht anders, als tief fallen?
Adriel Jost: Es ist natürlich nichts Falsches daran, einen hohen Anspruch zu haben. Und die eigene Integrität ist für die Glaubwürdigkeit entscheidend. Als Moralapostel lebt es sich allerdings schlecht. Für eine Unternehmung wäre eine gesunde Fehlerkultur besser als eine unrealistische Ankündigung. Fehler sind Teil der menschlichen Natur. Diese dann nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern sich kontinuierlich verbessern, das muss das Ziel sein.
Auffällig ist, dass immer mehr CEOs wegen moralischer Verfehlungen vorzeitig ausscheiden müssen. Hand aufs Herz: Ist die kriminelle Energie der Chefs gestiegen, oder liegt es an der immer kritischeren Öffentlichkeit, die bei Fehltritten von Topmanagern kein Pardon kennt und sich als selbsternannte Beisitzerin beim «Jüngsten Gericht» aufspielt?
Die Gesellschaft ist tatsächlich erstaunlich ungnädig geworden. Wie war das mit «dem ersten Stein werfen»? Die Entwicklung liegt aus meiner Sicht aber auch an der gestiegenen Transparenz – und die ist absolut zu begrüssen. Ein klares Benennen von Manager-Fehlern ist wichtig. Wer Verantwortung übernimmt, muss dies aushalten. Wem will ich als Kunde mein Geld anvertrauen, in welche Firma soll ich als Anleger investieren? Es ist nicht falsch, dass Fehler Konsequenzen nach sich ziehen.
 Im Kreditgewerbe ist Vertrauen das Herz jeglicher Aktivität. Vertrauen kann aber nicht erzwungen, sondern lediglich gewonnen werden. Wie kann die Credit Suisse nach dem «Quarantäne-Gate» und all den anderen Skandalen das Vertrauen der Kunden und Aktionäre wieder zurückgewinnen?
Der Kurs der Aktien zeigt, wie wenig Vertrauen Investoren noch in die Credit Suisse aufweisen. Hier kann wohl nur ein stetiger Leistungsausweis über eine längere Zeit helfen. Bankenkunden hingegen sind erstaunlich wenig mobil, sie verzeihen sehr viel. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung in der Finanzindustrie und anders tickenden jüngeren Generationen sollten Banken allerdings nicht darauf vertrauen, dass dies so bleiben wird.
Autor:
Adriel Jost ist Ökonom. Partner und Geschäftsführer der Beratungsunternehmung WPuls AG – Economics, Investment Services, Consulting. Er ist Mitglied des Kuratoriums von Liberethica.